Der Corona-Impfstoff von AstraZeneca kommt hierzulande vorerst nicht mehr zum Einsatz. Hintergrund sind sieben Fälle von Hirnvenenthrombosen, deren möglicher Zusammenhang mit der Impfung untersucht wird. Ob der gestern verkündete Impfstopp aufrechterhalten wird, hängt von der Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur ab, die am Donnerstag erwartet wird. Wir haben einige Fragen und Antworten zum derzeitigen Kenntnisstand zusammengetragen.
AZD1222 ist der Vektor-Impfstoff von AstraZeneca/Oxford University und der dritte Corona-Impfstoff, der eine bedingte EU-Zulassung erhalten hat. Das Vakzin enthält keine mRNA, sondern den genetischen Code des SARS-CoV-2-Spike-Proteins, der in das Genom eines Adenovirus von Schimpansen (ChAdOx1) eingebaut wurde. Vektorimpfstoffe enthalten den Bauplan für ein oder mehrere Antigene, die das Immunsystem aktivieren. Für eine vollständige Immunisierung sind zwei Dosen im zeitlichen Abstand nötig. Die häufigsten Nebenwirkungen, zu denen Schmerzen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, allgemeines Unwohlsein, Schüttelfrost, Fieber, Gelenkschmerzen und Übelkeit gehören, waren normalerweise leicht oder mittelschwer und besserten sich innerhalb weniger Tage nach der Impfung.
Warum wurden die Impfungen vorsorglich gestoppt?
Gestern wurden die Impfungen mit dem Vakzin vorsorglich ausgesetzt. Ursache sind Meldungen zu möglichen unerwünschten Wirkungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Immunisierung aufgetreten sind.
„Bei der Analyse des neuen Datenstands sehen die Expertinnen und Experten des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) jetzt eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen (Sinusvenenthrombosen) in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem Covid-19-Impfstoff AstraZeneca“, teilt das PEI in einer Stellungnahme mit.
Welche Impfungen sind betroffen?
Die Aussetzung von AstraZeneca betrifft sowohl die Erstimpfungen als auch mögliche anstehende Folgeimpfungen. Wie es insbesondere für Menschen weitergeht, die bereits die erste Dosis mit dem AstraZeneca-Imfpstoff erhalten haben, ist derzeit noch nicht klar.
Wie viele Fälle sind derzeit bekannt?
Bislang sind sieben Fälle einer Hirnvenenthrombose bekannt, die nach der Impfung auftraten. Hierzulande wurden laut Spahn bislang 1,6 Millionen Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff durchgeführt. Das Risiko sei generell sehr gering, aber wenn es einen Zusammenhang mit der Impfung gibt, bestehe ein überdurchschnittliches Risiko. Wie PEI-Präsident Klaus Cichutek in den Tagesthemen mitteilte, seien drei der sieben Fälle tödlich verlaufen. Nach Angaben von SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach handelt es sich um sechs Frauen und einen Mann, alle im Alter zwischen 24 und 58 Jahren und ohne Vorerkrankungen. Drei dieser Fälle seien erst in den vergangenen Tagen aufgetreten, so Lauterbach im ARD-Magazin „Hart aber fair“.
Sinusvenenthrombose in Verbindung mit Mangel an Blutplättchen
Die Sinusvenenthrombosen wurden in Verbindung mit einem Blutplättchenmangel beobachtet. Im Moment ist unklar, ob ein Zusammenhang mit dem Auftreten einer Hirnvenenthrombose und der Impfung besteht. Ein Mangel an Blutplättchen ist auch Zeichen einer Verbrauchskoagulopathie, bei der in den Blutbahnen kleine Blutgerinnsel auftreten, die die kleinen Blutgefäße verstopfen. Aufgrund der erhöhten Gerinnselbildung werden Blutplättchen und Gerinnungsfaktoren verbraucht, die benötigt werden, um Blutungen zu steuern – die Folge können übermäßige Blutungen sein.
Wann gibt es eine erste Entscheidung?
Die EMA hat die Bewertung aufgenommen und wird voraussichtlich am Donnerstag ein Statement abgeben. „Viele tausend Menschen entwickeln in der EU aus verschiedenen Gründen jährlich Blutgerinnsel. Die Anzahl der thromboembolischen Ereignisse bei geimpften Personen scheint insgesamt nicht höher zu sein als in der Allgemeinbevölkerung“, so die Expert:innen am Montag. Bei einer positiven EMA-Entscheidung könnten die Zweitimpfungen mit der Vakzine gegebenenfalls nachgeholt werden, so Gesundheitsminister Jens Spahn.
Worauf sollten bereits Geimpfte achten?
Das PEI weist darauf hin, dass Personen, die mit dem AstraZeneca-Impfstoff immunisiert wurden und sich mehr als vier Tage nach der Impfung zunehmend unwohl fühlen – beispielsweise unter starken und anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen leiden – unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben sollten. Laut Cichutek können bei den Betroffenen die normalen Impfreaktionen bereits abgeklungen sein. Entwarnung gibt der PEI-Präsident allen Personen, deren erste Impfung schon mindestens 16 Tage zurückliegt.
ASS als Prophylaxe?
Lauterbach zufolge gibt es keine Prophylaxe. Zwar lägen noch keine Untersuchungen dazu vor, aber sehr wahrscheinlich habe die vorbeugende Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern keinen Effekt. Auch der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen warnte bei „Hart aber fair“ davor, jetzt vorbeugend im Zusammenhang mit einer Impfung ASS einzunehmen.
Was ist eine Hirnvenenthrombose?
Die Sinus- und Hirnvenenthrombose ist eine seltene Erkrankung, mit einer Inzidenz von ein bis zwei Betroffenen auf 100.000 Personen pro Jahr und tritt meist im Alter von 30 bis 40 Jahren auf. Frauen sind häufiger betroffen als Männer (3:1). Bei der Erkrankung kommt es zu einem Verschluss von Venen im Gehirn. Der Abfluss des Blutes aus dem Gehirn wird gestört, der Hirndruck steigt und Kopfschmerzen, epileptische Anfälle infolge eines Hirnödems oder Stauungsblutungen sowie Seh- und Sprachstörungen oder Lähmungen können die Folgen sein. Früh erkannt, ist die Prognose in der Regel gut. Zur Akutbehandlung kommt Heparin zur Blutverdünnung zum Einsatz.
Pille und Thrombosen
„Die neueste Generation der Antibabypille hat als Nebenwirkung Thrombosen bei acht bis zwölf von 10.000 Frauen. Hat das bisher irgendwen gestört?“, twitterte SPD-Europapolitikerin Katarina Barley.
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