Kein Rabattvertrag = Mehrkostenretax: Lieferengpässe machen den Apotheken immer wieder das Leben schwer. Um die Patient:innen versorgen zu können, muss mitunter „gezaubert“ werden. So auch im Sommer vergangenen Jahres, als Nebivolol von Lieferenausfällen betroffen war. Jetzt gibt es die Quittung – in Form von Retaxationen – wenn den Kassen die Mehrkosten in Rechnung gestellt wurden, obwohl es keinen Rabattvertrag gab. Der Thüringer Apothekerverband informiert über „etliche Retaxationen“.
Das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) macht es möglich: Patient:innen müssen im Falle eines Lieferengpasses mögliche Mehrkosten nicht mehr aus eigener Tasche zahlen, wenn ein Rabattvertrag besteht. Die Vorgaben des GKV-FKG wurden im Rahmenvertrag entsprechend umgesetzt – seit dem 1. August 2020 wurde § 11 angepasst.
Nach § 129 Absatz 4c Sozialgesetzbuch (SGB) V müssen die Vertragspartner (Kasse und Unternehmen) eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln sicherstellen. Ist ein rabattiertes Arzneimittel bei Rezeptvorlage nicht verfügbar, ist die Apotheke unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels nach Maßgabe des § 129 Absatz 1 Satz 2 berechtigt. Ist kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse – wenn ein Rabattvertrag vorliegt – abweichend die Mehrkosten und nicht der/die Patient:in.
Kein Rabattvertrag = Mehrkostenretax
Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Für Nebivolol gab es zwar einen Lieferengpass, aber einige Kassen hatten keinen Rabattvertrag geschlossen. So auch die DAK. Das bedeutet: Weil es zum Zeitpunkt der Abgabe keinen Rabattvertrag für Nebivolol gab, können auch die angefallenen Mehrkosten der Kasse nicht in Rechnung gestellt werden, sondern müssen von den Versicherten selbst gezahlt werden. Apotheken kann eine Mehrkostenretax ins Haus flattern.
Merke: Liegen für ein verordnetes Arzneimittel keine Rabattverträge vor, müssen die anfallen Mehrkosten im Falle einer Nichtverfügbarkeit der preisgünstigen Präparate aus eigener Tasche gezahlt werden. Auch dann, wenn kein mehrkostenfreies Arzneimittel geliefert werden kann. In diesem Fall muss die Apotheke den Defekt durch das Aufdrucken der Sonder-PZN und Faktor 3 kenntlich machen. Sonst besteht das Risiko einer Mehrkostenretax.
Die Möglichkeit, die Mehrkosten zulasten der Kasse abzurechnen, besteht ausschließlich, wenn ein vorrangig abzugebenes Rabattarzneimittel nicht lieferbar ist und ausschließlich über dem Festbetrag versorgt werden kann. Auf das Rezept müssen Sonder-PZN sowie Faktor 2 oder 4 aufgedruckt werden.
Der Festbetrag ist die vom GKV-Spitzenverband festgelegte Preisobergrenze und stellt den maximalen Betrag dar, den die Kassen für ein Arzneimittel zahlen. Festbeträge werden gebildet, wenn mehrere Arzneimittel als vergleichbar eingestuft werden und die Kassen eine niedrige Erstattungsobergrenze festlegen wollen, dann ist von sogenannten Festbetragsgruppen die Rede. Übersteigt der Verkaufspreis eines Arzneimittels den Festbetrag, zahlen Patient:innen in der Regel die Differenz aus eigener Tasche. Alternativ können sie mit einem anderen, als therapeutisch gleichwertig eingestuften Arzneimittel versorgt werden, für das keine Aufzahlung fällig wird.
Laut § 11 Rahmenvertrag muss die Apotheke vorrangig ein Rabattarzneimittel abgeben. Kann nicht rabattvertragskonform geliefert werden, weil die Rabattarzneimittel nicht verfügbar sind, kann entsprechend Rahmenvertrag § 11 Absatz 2 mit einem lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittel, das den Aut-idem-Vorgaben entspricht, versorgt werden. Dabei ist die Abgaberangfolge zu beachten und bei Arzneimitteln, die dem generischen Markt zugeordnet werden, eines der vier preisgünstigsten abzugeben. Sind diese defekt, kann das nächstteurere Präparat abgerechnet werden. Ist dieses ebenfalls nicht lieferbar, geht es eine Preisstufe höher.
Wird das verordnete Arzneimittel dem importrelevanten Markt zugeordnet, fällt zuerst die Wahl auf ein Arzneimittel, das nicht teurer ist als das verordnete. Bei der Auswahl hat die Apotheke preisgünstige Importe bevorzugt abzugeben. Bei Parallelarzneimitteln darf das abgegebene Arzneimittel nicht teurer sein als das preisgünstigste Parallelarzneimittel.
Scheiden alle Optionen entsprechend den Vorgaben des Rahmenvertrages aus, darf die Apotheke höherpreisig versorgen – oberhalb des Festbetrages. Der Preisanker muss nicht beachtet werden. Außerdem darf im importrelevanten Markt mit dem Original oder einem teureren Parallelarzneimittel versorgt werden.
Achtung: Um die Nichtverfügbarkeit zu dokumentieren, genügt ein Großhandelsnachweis. In § 11 heißt es: „Für die Feststellung der Nichtverfügbarkeit ist in Abweichung von § 2 Absatz 11 der Nachweis durch eine Verfügbarkeitsanfrage bei einem Großhandel ausreichend.“
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