BGH: Keine Rx-Preisbindung für Versandapotheken
Die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt nicht für ausländische Versender – der Bundesgerichtshof (BGH) sieht derzeit keinen Anlass, die Sache noch einmal dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Die Richter:innen in Karlsruhe wiesen eine Klage des Bayerischen Apothekerverbands (BAV) gegen DocMorris beziehungsweise die Tochterfirma Taminis ab. Aus ihrer Sicht gibt es – zumindest in diesem Verfahren – keine Argumente, mit denen sich das EuGH-Urteil aus dem Jahr 2016 noch einmal neu aufrollen ließe.
Der BGH hat sein Urteil verkündet: Der Revision von Taminis gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München (OLG) wird stattgegeben, das Urteil des Landgerichts München aus dem Jahr 2014 wird abgeändert und die Klage des BAV gegen DocMorris beziehungsweise die Tochterfirma Taminis abgewiesen.
Die Richter:innen beziehen sich laut mündlicher Begründung auf die alte Regelung nach § 78 Arzneimittelgesetz (AMG), die aber nach dem EuGH-Urteil unionsrechtswidrig gewesen sei und daher nicht auf ausländische Versender angewendet werden durfte. Es sei nicht hinreichend nachgewiesen worden, dass die Regelung geeignet sei, die flächendeckende Versorgung zu sichern. Auch die Stellungnahme der Bundesregierung habe keine empirischen Daten dazu enthalten – weder für den damaligen noch den späteren Zeitraum. Damit sei den strengen Anforderungen des EuGH nicht genügt.
Auf die Frage, ob die neue Vorschrift nach § 129 Sozialgesetzbuch (SGB V) mit Unionsrecht vereinbar sei, sei es im Verfahren nicht angekommen. Daher beantwortete sie der BGH nicht. Die Klage sei schon deshalb abzulehnen gewesen, weil es mangels Verstoßes gar keine Wiederholungsgefahr auf Grundlage der alten Regelung gegeben habe.
In der mündlichen Verhandlung hatte der Vorsitzende Richter noch erklärt, dass sich beide Vorschriften im Grunde nicht trennen ließen, da die neue auf die alte aufgesetzt worden sei.
Die Entscheidung nur auf der alten Regelung lässt die Möglichkeit offen, die neue Regelung – mit neuen Argumenten – in einem neuen Verfahren zu klären. Vielleicht hat der BGH den Apotheken damit sogar einen Gefallen getan.
Keine „harten Fakten“
Dass die Entscheidung in diese Richtung gehen könnte, hatte sich schon in der Verhandlung abgezeichnet. Laut BGH fehlten im Verfahren „harte Fakten“, um die gesetzliche Einschränkung zu rechtfertigen. Dazu müsse substantiiert dargelegt werden, warum die Regelung geeignet und angemessen sei, um die Gesundheit und die flächendeckende Versorgung zu sichern.
Das Oberlandesgericht München (OLG) habe als Vorinstanz zwar ein „sehr ausführliches und eingehendes Urteil“ vorgelegt. Aber der EuGH habe schon 2016 klar gemacht, dass er nur Nachweise mit statistischen Daten oder anderen Mitteln, die in ihrer Aussagekraft vergleichbar seien, anerkenne. „Es müssen also harte Fakten auf den Tisch. Eine bloße Stichhaltigkeitsprüfung reicht nicht, die Beweise selbst müssen stichhaltig sein.“
In dem Streit ging es um Boni aus dem Jahr 2012. Eigentlich hätte das Verfahren die Chance geboten, die Sache vor dem EuGH neu aufrollen zu lassen. In der Vergangenheit hatte der BGH signalisiert, dass er eine solche Gelegenheit gerne nutzen würde, um die Sachlage neu erörtern zu lassen. Denn der Streit, der 2016 für das EuGH-Urteil gesorgt hatte, mit dem die Preisbindung für ausländische Versender aufgehoben wurde, war seinerzeit vom OLG Düsseldorf am BGH vorbei nach Luxemburg geschickt worden. In Luxemburg hatte man sich aus Sicht der Kritiker:innen nicht hinreichend mit den Gründen beschäftigt, die für den einheitlichen Abgabepreis sprechen könnten.
Senat war skeptisch
Das hatte das OLG München im vergangenen Jahr nachgeholt und auf 64 Seiten akribisch zusammengetragen, warum die Rx-Preisbindung dem Schutz der Gesundheit dient und nicht gegen Europarecht verstößt. Zum Verfahren gab es laut den Prozessbeteiligten vier hohe Stapel an Akten, vor allem aber auch eine Stellungnahme der Bundesregierung aus dem Jahr 2021. Die war zwar nicht sehr gehaltvoll, hätte aber ein Anfang sein können, um die Sache in eine neue Richtung zu lenken.
Doch offenbar hat das die Richter:innen am BGH überhaupt nicht überzeugt. Zwar sehe man nicht, dass das Urteil des EuGH aus dem Jahr 2016 unumstößlich sei, mit dem ausländische Versender wegen ihres strukturellen Wettbewerbsnachteils von der Preisbindung befreit wurden, so der Vorsitzende Richter Professor Dr. Thomas Koch. Sollten neue Fakten vorgetragen werden, die den Anforderungen des EuGH entsprächen, könne und müsse man die Sache erneut vorlegen. Denn genaugenommen habe der EuGH damals eigene Feststellungen getroffen, was vor dem Hintergrund der Aufgabenteilung unter den Gerichten eigentlich unzulässig sei.
Alles zusammengekratzt
Zur Rechtfertigung müsse substantiiert dargelegt werden, warum die Regelung geeignet und angemessen sei, um die Gesundheit und die flächendeckende Versorgung zu sichern. Das OLG habe zwar ein „sehr ausführliches und eingehendes Urteil“ vorgelegt. „Hier wurde alles zusammengekratzt“, so Koch. Aber genügt das auch inhaltlich? Laut dem BGH-Richter hat der EuGH schon 2016 klar gemacht, dass er nur Nachweise mit statistischen Daten oder anderen Mitteln, die in ihrer Aussagekraft vergleichbar seien, anerkenne. „Es müssen also harte Fakten auf den Tisch. Eine bloße Stichhaltigkeitsprüfung reicht nicht, die Beweise selbst müssen stichhaltig sein.“
Daran habe man Zweifel, so Koch. Ein Zusammenhang mit dem Apothekensterben sei möglicherweise nicht belegt. Und auch die Apothekendichte hat aus Sicht des Senats offenbar wenig Aussagekraft, da der Versandhandel ja auch dazu beitragen könne, die Versorgung in der Fläche zu sichern. Die Stellungnahme der Bundesregierung aus dem Jahr 2021 beschränke sich auf drei Absätze, aus denen man nicht wirklich etwas herausziehen könne. „Es gibt Bedenken, dass man das Berufungsurteil aufrechterhalten kann.“
Am Ende hatte der Vertreter des BAV regelrecht um einen Verweis zurück ans OLG gebeten, um weitere Unterlagen und Statistiken einbringen und berücksichtigen zu können, die Ansprüchen dann womöglich genügten. „Was soll da noch kommen? Aus unserer Sicht ist alles thematisiert worden“, hatte der Vorsitzende Richter erklärt. „Sie haben doch schon alles gegeben.“
Showdown zu Schadenersatz
Schon in Kürze wird es die nächste Entscheidung am BGH zu dem Thema geben: Am 30. Juli soll ein Urteil in einem Prozess verkündet werden, in dem es um Schadenersatzforderungen des Versenders gegenüber der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) geht. Streitig waren im konkreten Fall Werbeaktionen von DocMorris, gegen die die AKNR erfolgreich vorgegangen war, die nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Boni aus dem Jahr 2016 aber laut Versender zu unrecht untersagt worden waren. Der Versender forderte daher Schadenersatz in Höhe von 18,5 Millionen Euro.
Ob die Kammer tatsächlich zu einer Zahlung verurteilt wird, ist nicht ausgemacht. Der Fall lag schon beim EuGH, der gleich mehrere der streitigen Themen vom Tisch räumte. Demnach sind Rx-Boni von Versandapotheken nämlich schon als Werbung für rezeptpflichtige Medikamente nach EU-Recht unzulässig, jedenfalls sofern es sich um Gutscheine für nachfolgende Käufe handelt.
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