BfArM-Bescheid rechtswidrig: Opiumtinktur ist Fertigarzneimittel
Noch immer wird vor Gericht darüber gestritten, ob Opiumtinktur Maros ein Fertigarzneimittel ist oder nicht. Das Verwaltungsgericht Köln hat jetzt den Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 16. August 2022, dass Opiumtinktur Maros nicht der Zulassungspflicht unterliegt, kassiert.
Rezeptursubstanz oder Fertigarzneimittel? Opiumtinktur Maros kommt seit Jahrzehnten als Rezeptursubstanz zur Behandlung schwerer Durchfälle sowie zur Behandlung des neonatalen Abstinenz-Syndroms zum Einsatz. Seit 2018 ist das Fertigarzneimittel Dropizol – eingestellte Opiumtinktur zur Behandlung schwerer Durchfälle, wenn durch die Anwendung anderer Antidiarrhoika keine ausreichende Wirkung erzielt wurde – auf dem Markt.
BfArM-Bescheid
Seit Jahren wird vor verschiedenen Gerichten darüber gestritten, ob Opiumtinktur Maros zulassungspflichtig ist. Laut BfArM-Bescheid aus dem August 2022 ist Opiumtinktur Maros nicht zulassungspflichtig. Es handele sich um ein Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Absatz 1 Arzneimittelgesetz (AMG). Denn Tinctura opii normata sei ein Vielstoffgemisch, das neben anderen Alkaloiden Morphin enthalte, das die physiologischen Funktionen über die Wirkung an zentralen beziehungsweise peripheren Opioidrezeptoren beeinflusse. Zudem entspreche Opiumtinktur Maros nicht dem Begriff eines Fertigarzneimittels nach § 4 Absatz 1. Denn das Produkt werde weder in einer zur Abgabe an Verbraucher:innen bestimmten Packung im Sinne des § 4 Absatz 1 AMG in den Verkehr gebracht noch ist es ein anderes zur Abgabe an Verbraucher:innen bestimmtes Arzneimittel.
Die erst durch eine Apotheke vorgenommene Abfüllung in geeignete Behältnisse in betäubungsmittelrechtlich zulässigen Abgabemengen spreche gegen eine Einordnung als Fertigarzneimittel zum Zeitpunkt der Lieferung an Apotheken. Schließlich seien auf der Faltschachtel und der Glasflasche Hinweise aufgebracht, dass es sich lediglich um Versandgefäße handele und eine Umfüllung in Behältnisse mit Tropfvorrichtung zu erfolgen habe. Das Fehlen von Packungsbeilage, Dosierungshilfe und Kindersicherung weise außerdem darauf hin, dass es sich nicht um ein Fertigarzneimittel handele. Es sei davon auszugehen, dass das Präparat üblicherweise von Apotheken über den Großhandel bezogen und gegebenenfalls vorrätig gehalten werde, um im Einzelfall aufgrund einer ärztlichen Verschreibung ein Rezepturarzneimittel im Sinne des § 1a Absatz 9 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) herstellen zu können, so das BfArM.
Widerspruch gegen BfArM-Bescheid
Gegen den BfArM-Bescheid legte Pharmanovia A/S als Zulassungsinhaber von Dropizol Widerspruch ein. Dieser wurde vom BfArM im Mai 2023 als unbegründet zurückgewiesen. Opiumtinktur-Maros sei mangels objektiver Bestimmung zur Abgabe an Verbraucher:innen kein Fertigarzneimittel, sondern ein Zwischenprodukt im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 AMG. Die Auslegung des Wortlautes der Norm „andere zur Abgabe an den Verbraucher bestimmte Arzneimittel“ lasse keine anderweitige Interpretation zu, insbesondere keine weite Auslegung, so die Begründung.
VG Köln: Opiumtinktur ist Fertigarzneimittel
Daraufhin erhob Pharmanovia A/S im Mai 2023 Klage. Der Fall landete vor dem Verwaltungsgericht Köln. „Der Bescheid des BfArM vom 16.08.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren aus der Zulassung folgenden Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.“
Weiter heißt es: „Die Entscheidung des BfArM ist indes materiell rechtwidrig, weil Opiumtinktur-Maros ein Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, 2. und 3. Variante AMG ist.“ Demnach handelt es sich bei Fertigarzneimitteln um Arzneimittel, „die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden.“ Fertigarzneimittel sind nach § 4 AMG nicht Zwischenprodukte, die für eine weitere Verarbeitung durch einen Hersteller bestimmt sind.
Aus Sicht des VG Köln steht es außer Zweifel, dass Opiumtinktur Maros ein Arzneimittel ist und kein Vor- oder Zwischenprodukt im Sinne von § 4 AMG, da mit der Abfüllung die stoffliche Zusammensetzung vollständig feststeht und im Rahmen eines mehrstufigen Herstellungsprozesses bis zum abgabefertigen Endprodukt keine wesentlichen Bearbeitungsschritte mehr erforderlich sind.
Die Eigenschaft als Fertigarzneimittel ergebe sich für Opiumtinktur Maros noch nicht aus § 4 Absatz 1 Satz 1, 1. Variante AMG. Denn es handele sich nicht um ein Arzneimittel, das im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird. Auch wenn das Produkt in großen Mengen industriemäßig hergestellt und an Apotheken geliefert wird, ohne dass es auf eine konkrete ärztliche Verordnung ankäme. Der Anwenderkreis sei zum Zeitpunkt der Herstellung unbekannt, was das wesentliche Abgrenzungskriterium zu Rezepturarzneimitteln markiere.
Das Präparat befindet sich zu diesem Zeitpunkt nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung. Werden die Arzneimittel durch Abpacken oder Umfüllen in eine zur Abgabe an den Verbraucher bestimmte Verpackung gebracht, so entsteht das Fertigarzneimittel in diesem Sinne erst dann, so das VG Köln.
Dennoch handele es sich bei Opiumtinktur Maros um ein Fertigarzneimittel im Sinne der 2. und 3. Tatbestandsalternative des § 4 Abs. 1 Satz 1 AMG, so das VG Köln. Die Begründung: Das Produkt ist ein anderes zur Abgabe an Verbraucher bestimmtes Arzneimittel, bei dessen Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt (Variante 2) oder das, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt wird (Variante 3). Unter einer Zubereitung versteht man die Fertigung eines Stoffgemisches oder einer Lösung aus einem oder mehreren Betäubungsmitteln mit oder ohne andere Substanzen in einer Form, die in der Natur nicht vorkommt. Eine industrielle Herstellung stehe außer Streit.
„Die Tinktur ist auch ein anderes ‚zur Abgabe an Verbraucher‘ bestimmtes Arzneimittel im Sinne der Norm. Dem widerspricht nicht, dass die Abgabe nicht vom Hersteller unmittelbar an den Verbraucher, sondern zunächst an den Apotheker erfolgt, der das Präparat mit einer abweichenden Verpackung einschließlich Beschriftung und Kindersicherung versieht.“
Da unstreitig bei Opiumtinktur-Maros keine Veränderung der Darreichungsform in der Apotheke erfolgt, sondern lediglich eine Umfüllung in Endverbraucherpackungen mit Dosierhilfe und Kindersicherung sowie erforderlicher Kennzeichnungen, ohne dass damit eine stoffliche Veränderung einhergeht, spreche Überwiegendes für die Fertigarzneimittel-Eigenschaft.
Die Berufung gegen das Urteil ist zugelassen.
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