In Spanien wird über Fälle des sogenannten „Werwolfsyndroms“ – Hypertrichose – bei Kindern berichtet. Grund dafür ist eine unbeabsichtigte Exposition mit topisch angewendetem Minoxidil.
Minoxidil findet in oralen Darreichungsformen bei Bluthochdruck Anwendung – wenn andere Mittel nicht ausreichen. Der Wirkstoff ist ein Piperidinopyrimidin-Derivat und besitzt vasodilatatorische Eigenschaften. Außerdem kann Minoxidil das Haarwachstum fördern, wobei der genaue Wirkmechanismus noch nicht abschließend geklärt ist. So wird der Wirkstoff in Lösungen oder Schaum zur topischen Anwendung bei androgenetischer Alopezie eingesetzt. Doch dabei ist Vorsicht geboten. Denn eine versehentliche Minoxidil-Exposition von Kindern kann zum „Werwolfsyndrom“ führen, zeigen unter anderem Fallberichte aus Spanien.
Übrigens: Hierzulande ist der Wirkstoff zur topischen Anwendung bei Haarausfall nicht mehr versorgungsrelevant.
„Werwolfsyndrom“ bei Kindern nach Minoxidil-Exposition
Das Zentrum für Pharmakovigilanz in Navarra (Spanien) berichtet über den Fall eines Babys, bei dem innerhalb von zwei Monaten eine vermehrte Behaarung am Rücken und an den Oberschenkeln beobachtet wurde. Hintergrundgespräche ergaben, dass dafür wohl eine versehentliche Exposition mit einer 5-prozentigen Minoxidil-Lösung verantwortlich war, die vom Vater angewendet wurde. Durch Hautkontakt kam es zur systemischen Aufnahme durch das Kind. Die Hypertrichose war dabei reversibel.
Nach weiteren Überprüfungen der Datenbank des spanischen Pharmakovigilanzsystems sowie der Europäischen Pharmakovigilanz-Datenbank sind den Expert:innen zufolge inzwischen weitere zehn Fälle von Hypertrichose bei Kleinkindern bekannt, nachdem diese eine versehentliche Minoxidil-Exposition erfahren hatten. Einen möglichen Grund dafür sehen die Expert:innen in der geringeren Hornschichtdichte bei Kindern, sodass der Wirkstoff leichter aufgenommen werden kann. Auch eine orale Aufnahme durch das Stillen ist ihnen zufolge möglich.
Hypertrichose – übermäßiger Haarwuchs oder auch „Werwolfsyndrom“ – kann genetisch bedingt auftreten, beispielsweise durch eine gestörte Entwicklung der Haarfollikel, oder durch andere Faktoren wie Erkrankungen, wiederholte Verletzungen oder bestimmte Arzneimittel. Betroffen sind entweder einzelne Körperstellen oder der gesamte Körper.
Warnhinweise für Minoxidil-haltige Arzneimittel
Nach entsprechenden Fallberichten hatte der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ein Verfahren eingeleitet und bereits im Sommer für Minoxidil zur topischen Anwendung eine Anpassung der Fach- und Gebrauchsinformationen beschlossen.
In der Packungsbeilage sollen Anwender:innen demnach darauf hingewiesen werden, dass es bei Kleinkindern Fälle von übermäßigem Haarwuchs am Körper nach Hautkontakt mit Körperstellen von Personen kam, die Minoxidil topisch angewendet haben. Nach Beendigung des Kontakts mit dem Arzneimittel normalisierte sich das Haarwachstum innerhalb von einigen Monaten wieder. „Es sollte darauf geachtet werden, dass Kinder nicht mit Körperstellen in Berührung kommen, an denen Sie Minoxidil aufgetragen haben“, lautet daher die Warnung. Stellen Anwender:innen bei ihrem Kind entsprechende Symptome einer Hypertrichose fest, soll zudem sofort Arztrücksprache gehalten werden.
Auch die äußere Umhüllung und die Primärverpackung entsprechender Arzneimittel sollen angepasst werden und mit dem Hinweis „Nicht einnehmen.“ versehen werden.
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