Stimme statt Blut: Spracherkennungs-App für Covid-19
Kann Covid-19 per Spracherkennungs-App erkannt werden? Zugegeben, die Vorstellung, Covid-19 anhand einer Stimmenanalyse zu erkennen, klingt im ersten Moment unmöglich. Dabei haben Wissenschaftler schon vor acht Jahren Kehlkopfkrebs „gehört“, danach Autismus (2013), Parkinson (2015) und Erkältung (2016). Seit 2016 entwickelten Professor Dr. Björn Schuller von der Uni Augsburg und sein Team im RADARCNS Stimmenanalysen zur Diagnostik von großen Krankheitsbildern wie Depressionen oder Epilepsien – und nun auch von Covid-19.
Im März erhielt das Team um Schuller die Möglichkeit, im Zuge der Corona-Pandemie mit dem neuen Forschungsfeld zu beginnen. Das Ziel: Für niedergelassene Ärzte und Interessierte eine unkomplizierte Anwendung auf der Basis der Smartphone-Technologie zu entwickeln, die das Erkennen einer Covid-19-Infektion berührungslos, in Echtzeit und auch auf Distanz möglich macht.
So begann Schuller im März mit Sprachaufnahmen aus Wuhan, dem Ursprung der Pandemie, und wertete diese aus. Dazu wurden 50 Stimmen von Infizierten mit 50 Stimmen von nicht-infizierten Personen verglichen. „Diese Auswertungen waren erste Lernbeispiele für unseren Computer. Je mehr Stimmen wir auswerten können, umso genauer kann die App später funktionieren.“, erklärt Schuller.
Inzwischen stammen die Stimmproben aus der Uniklinik Augsburg. Der Informatiker arbeitet mit Privatdozent Dr. Markus Wehler, Direktor der IV. Medizinischen Klinik sowie der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Augsburg, zusammen. „Aus Sicht der Notfall- und Akutmedizin wäre ein solches Instrument sehr hilfreich, da ein Sprachtest sehr schnell durchzuführen und wenig belastend ist und innerhalb weniger Minuten ein Ergebnis vorliegt“, sagt Wehler. „Es ist keine Blutabnahme nötig, kein Röntgenbild und auch sonst keine aufwendige Diagnostik, das ist von großem Vorteil. Selbst wenn das Ergebnis nicht so genau wie bei einem Abstrich ist, könnte man dennoch sehr schnell die Verdachts- von den Nicht-Verdachtsfällen trennen.“
Die Zusammenarbeit hat für Schuller einen Vorteil: „So liegen auch verlässliche Tests vor. Anhand dieser lernt der Computer selber, worauf er achten muss, um Covid-19 und eben Nicht-Covid-19 voneinander unterscheiden zu können.“ Die Erfolgsquote der Spracherkennungs-App liege derzeit bei über 80 Prozent. „Aber wir sind noch mitten in der Untersuchung, brauchen natürlich weitere Daten, also viele Stimmen sowohl von Covid-19-Erkrankten als auch von gesunden Vergleichskandidaten.“
Spracherkennungs-App für Covid-19: So funktioniert es
Die App lernt mit tiefen neuronalen Netzen, die wesentlichen Merkmale in der Stimme zu repräsentieren, um dann anhand dieser eine Entscheidung zu treffen. „Man kann sich vorstellen, dass sie Covid-19-Einflüsse auf die Stimmbildung heraushören kann, etwa Kurzatmigkeit oder auch einfach Ermüdung und natürlich Husten oder ähnliches“; beschreibt Schuller. Die Funktionsweise der App basiert auf tiefenneuronalen Netzwerken. Diese erlernen, ähnlich wie im menschlichen Gehirn, hochparallel Information zu verarbeiten. In Ebenen bilden sie das Sprachsignal mit zunehmender Komplexität ab und können nach dem Anlernen mit vielen Daten neue Probleme wie Covid-19 selbstständig darstellen und erkennen, teil die Uni Augsburg mit.
Die App beziehungsweise der Computer lernt schon nach wenigen Worten oder Sätzen, eine Covid-19-Infektion auch von neuen Personen aus der Stimme zu erkennen. Parallel hat Schuller eine weitere App entwickelt, die über einen längeren Zeitraum zuhört und Häufigkeiten von hörbaren Symptomen wie unter anderem Husten, Niesen, Kurzatmigkeit, verstopfte Nase beobachtet, aus dem „Gehörten“ Rückschlüsse zieht und den/die Nutzer*in informiert.
„Wir hoffen, mit unserer Anwendung einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung von Covid-19-Verdacht leisten zu können. Die Sprache ist hier quasi das neue Blut – wir verwenden es zur Analyse und brauchen es aber ebenso dringend als Spende, um unsere Systeme insgesamt verbessern zu können“, betont Schuller.
Das Projekt Spracherkennung von Covid-19 ist noch nicht abgeschlossen: „Wir beschäftigen uns neben der Verbesserung der Zuverlässigkeit mit einer erhöhten Erklärbarkeit der Analyse und der erhöhten Transparenz der Entscheidung. Natürlich sind wir dann in erster Linie daran interessiert, das Projekt in eine reale Anwendung überführen zu können, um für uns alle einen Mehrwert in dieser herausfordernden Zeit zu schaffen.“, beschreibt Schuller die nächsten Schritte.
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