Ist eine Infektion mit SARS-CoV-2 auch über die Bindehaut oder Tränenflüssigkeit möglich? Die Frage diskutierten Experten auf dem Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Soviel sei verraten; das Infektionsrisiko über Tröpfchen und Aerosole aus den Atemwegen ist höher.
SARS-CoV-2 wird hauptsächlich durch respiratorische Aufnahme von virushaltigen Partikeln, die beim Atmen, Husten, Sprechen oder Niesen entstehen, übertragen. Die Wahrscheinlichkeit infektiösen Partikeln (Tröpfchen, Aerosolen) ausgesetzt zu sein, ist im Umkreis von ein bis zwei Metern um eine infizierte Person herum erhöht. Ein Atemschutz kann das Risiko einer Übertragung reduzieren. Was aber ist mit den Augen? Ende März wies bereits die American Academy of Opthalmology (AAO) Augenärzte auf Berichte hin, die darauf hindeuten, dass SARS-CoV-2 auch Bindehautentzündungen verursachen kann.
Bindehaut und Tränenfilm: Eintrittspforte für SARS-CoV-2?
Ob sich Menschen auch über die Bindehaut oder Tränenflüssigkeit mit SARS-CoV-2 infizieren können und inwiefern Covid-19-Patienten andere Menschen über ihre Tränen anstecken können, haben Experten diskutiert. „Derartige Übertragungswege würden erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben und weitere Schutzmaßnahmen notwendig machen“, sagt Professor Dr. Dr. Clemens Lange, Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg. Vereinzelte Studien hätten auf eine solche Übertragungskette hingewiesen.
Untersuchungen zeigten, dass etwa 7 Prozent der Covid-19-Patienten subjektive Augenbeschwerden zeigen – etwa 1 Prozent zeigte Zeichen einer Bindehautentzündung. „Einige Studien postulieren, dass das Virus in diesen Fällen das Auge als Eintrittspforte genutzt habe“, so Lange. Auch der Tränenfilm werde als ein möglicher Überträger diskutiert. „Reibt man sich beispielsweise die Augen mit Covid-19-kontaminierten Händen, wäre eine Übertragung auf die Nasenschleimhaut oder die Atemwege denkbar“, so Lange. Umgekehrt könnten infizierte Patienten das Virus über ihre Tränenflüssigkeit auf gesunde Menschen übertragen.
Covid-19 und Bindehautentzündung: Kein Zusammenhang?
„Betrachtet man abschließend die derzeitige Studienlage, weist jedoch nichts darauf hin, dass wir die Augen als bedeutsame Eintritts- oder Austrittspforte des Virus betrachten müssen“, stellt Lange fest. Ein Zusammenhang zwischen der in Studien beobachteten Bindehautentzündung bei Covid-19 könne bislang nicht eindeutig ermittelt werden.
„Es könnte sich auch um ein SARS-CoV-2 unabhängiges Phänomen handeln, das zum Beispiel im Zuge einer intensivmedizinischen Behandlung oder der generalisierten Entzündungsreaktion im Körper von Covid-19-Patienten auftritt“, erklärt Lange. Außerdem sei noch nicht eindeutig geklärt, ob die Zellen der Augenoberfläche, wie zum Beispiel die der Bindehaut, den SARS-CoV-2-Rezeptor ACE2 in klinisch relevantem Maße exprimieren und damit für eine Infektion anfällig sind.
Eine aktuelle Untersuchung an der Universitäts-Augenklinik Freiburg sowie histologische Untersuchungen anderer Kliniken hätten weder eine wesentliche Expression von ACE2 in der Bindehaut noch einen Zusammenhang zwischen einer Covid-19-Infektion und einer Bindehautentzündung nachweisen können.
Auch der Übertragungsweg über die Tränenflüssigkeit sei eher unwahrscheinlich. „Der regelmäßige Lidschlag des Auges sowie die geringe Augenoberfläche dürften verhindern, dass ausreichend Viren ins Auge gelangen können“, so Lange. Und dazu, ob Infizierte über ihre Tränen gesunde Menschen anstecken könnten, gibt es auch keine eindeutigen Hinweise: „Bei Patienten mit COVID-19-Erkrankung enthält der Tränenfilm nur sehr selten Virus-RNA“, erklärt Lange. Eine Ansteckung über die Tränenflüssigkeit sei daher auch erst einmal auszuschließen.
Das Fazit: „Obwohl wir derzeit eher keine Infektion über das Auge befürchten müssen, sind weitere Untersuchungen notwendig, um Aufschluss über die tatsächliche Infektiosität und mögliche Orte der Virusvermehrung zu erhalten“, betont Professor Dr. med. Hans Hoerauf, Präsident der DOG und Direktor der Augenklinik der Universitätsmedizin Göttingen. „Alles in allem betrachtet, dürfte bei augenärztlichen Untersuchungen von Aerosolen aus den Atemwegen ein deutlich höheres Infektionsrisiko mit Covid-19 ausgehen als von Tränenfilm und Augenoberfläche der Patienten“, so Lange.
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