Retax-Falle pharmazeutische Bedenken?
Bei der Belieferung von Rezepten sind Apothekenmitarbeiter:innen angehalten, eines der Rabattarzneimittel der GKV abzugeben. Was aber, wenn der Austausch des Arzneimittels eine Gefährdung des Therapieerfolges darstellen würde? Der Einsatz von pharmazeutischen Bedenken ist möglich, aber droht im schlimmsten Fall eine Retax?
Unter „pharmazeutischen Bedenken“ wird beschrieben, dass der/die Apothekenmitarbeiter:in den Therapieerfolg der Behandlung eines/einer Patient:in trotz ausführlicher Beratung gefährdet sieht.
Dies ist der Fall, wenn der Arzneistoff einen Austausch nicht ohne Weiteres zulässt, die Applikationsform sich untragbar verändert oder der/die Patient:in nicht in der Lage ist, die Therapie mit dem neuen Präparat fehlerfrei weiterzuführen.
Leitlinienkonform handeln
Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) hat hierzu in ihrer Leitlinie „Gute Substitutionspraxis“ eine Auflistung von Arzneistoffen und Darreichungsformen veröffentlicht, bei denen der Austausch eines Präparats als kritisch anzusehen ist.
Als Arzneimittelgruppen sind hier unter anderem Antiarrhythmika, Antiasthmatika, herzwirksame Glykoside, Antiepileptika, Antidepressiva und Immunsuppressiva aufgeführt. Dies wird vor allem mit der geringen therapeutischen Breite und dem hohen Nebenwirkungspotential der Wirkstoffe begründet.
Bei den kritischen Darreichungsformen sind Retardarzneimittel, magensaftresistente Formulierungen und topisch, pulmonal oder dermal applizierte Arzneiformen genannt. Hierbei handelt es sich um Darreichungsformen, bei denen sich die Freisetzung des Arzneistoffs aufgrund der differenzierten Zusammensetzung so verändern kann, dass eine spürbare Veränderung der Wirkung eintritt. Dies kann für Patient:innen, die eine gut eingestellte, komplexe Therapie haben, zum Problem werden. Schnell zieht dies auch eine geringere Compliance des/der Patient:in nach sich.
Dokumentation und rechtliche Rahmenbedingungen
Wer „pharmazeutische Bedenken“ anwenden möchte, muss zwingend auf die korrekte Dokumentation auf dem Rezept achten. Dazu gehören:
- individuelle Begründung zur Nutzung der Pharmazeutischen Bedenken (z.B. geringe therapeutische Breite des Arzneistoffs oder problematische Dosierung bei Austausch der Applikationsform)
- Eintragen der Sonder-PZN: 02567024 plus dem entsprechenden Faktor (8 oder 9)
- Abzeichnung des Rezepts mit Datum und Unterschrift (bei E-Rezepten wird durch den/die Apotheker:in signiert, der die Rezeptkontrolle durchführt und diese dann freigibt)
Rechtliche Sicherheit bei der Anwendung der pharmazeutischen Bedenken gibt die Apothekenbetriebsordnung §17, Absatz 5: „Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist.“ Ein Arzneimittel darf demnach erst dann abgegeben werden, wenn alle Bedenken und Unklarheiten ausgeräumt wurden. Dies gilt auch, wenn durch die Verschreibung der Therapieerfolg nicht mehr gewährleistet wäre.
Darüber hinaus ist ebenfalls die Pflicht zur korrekten Dokumentation in der Apothekenbetriebsordnung §17 Absatz 5 zu finden: „Der Apotheker hat jede Änderung auf der Verschreibung zu vermerken und zu unterschreiben.“
Angst vor einer Retax?
Bei Beachtung aller Formalien und der durchgehend korrekten Dokumentation ist bei pharmazeutischen Bedenken im Regelfall nicht mit einer Retax zu rechnen. Sollte es dennoch dazu kommen ist es wichtig, dass der Krankenkasse schlüssig in einem Widerspruch dargelegt wird, warum die Entscheidung zur Verwendung der pharmazeutischen Bedenken getroffen wurde. Die Beurteilung und Anwendung von pharmazeutischen Bedenken liegt im Ermessen des pharmazeutischen Personals, das mit seiner fachlichen Expertise den verantwortungsvollen Gebrauch sicherstellt.
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