Droht auch das Aus für Metamizol?
Die EU- Kommunalabwasserrichtlinie (KARL), die eine vierte Reinigungsstufe für Kläranlagen vorsieht, um unter anderem auch Medikamentenrückstände herauszufiltern, könnte die Arzneimittelhersteller – vor allem die Generikahersteller – rund eine Milliarde Euro kosten. Dass die Zusatzkosten die Arzneimittelversorgung gefährden, zeigt sich nicht nur am Beispiel Metformin. Auch Schmerzmittel wie Metamizol und Antibiotika wie Amoxicillin wären in der Herstellung nicht mehr wirtschaftlich. KARL könnte somit Engpässe verschärfen und für ein komplettes Versorgungschaos sorgen.
Rund 80 Prozent der hierzulande angewendeten Arzneimittel sind Generika. Die Hersteller stehen unter hohem Preisdruck. Ein Beispiel ist Metformin. Für eine Tablette erhalten die Hersteller etwa 2 Cent – abzüglich Rabatten bleibt weniger als ein Cent pro Tablette übrig. KARL würde die Wirkstoffproduktionskosten um das 4,5-Fache steigern und die Produktion somit unwirtschaftlich machen und die Versorgung von rund drei Millionen Diabetiker:innen gefährden. „Wenn das wirklich so kommt und sich nichts ändert, werden wir Metformin vom Markt nehmen müssen“, sagt Zentiva-Geschäftsführer Josip Mestrovic.
Doch Metformin ist nicht der einzige Wirkstoff, der vom Markt verschwinden könnte. Das Szenario lässt sich auf viele Wirkstoffe und lebenswichtige Arzneimittel übertragen. Denn die Kostensteigerungen lassen sich angesichts der geringen Margen nicht abbilden. Der Grund sind die gesetzlich gedeckelten Preise für Generika. Somit droht die Produktion zwangsläufig unwirtschaftlich zu werden. Laut Berechnungen des Marktforschungsinstituts IQVIA könnten die Preise in Deutschland für einige Medikamente um ein Mehrfaches steigen.
Diese Wirkstoffe sind noch betroffen
Für Antibiotika wie Amoxicillin könnten die Zusatzkosten bis zu 116 Prozent der aktuellen Gesamtausgaben betragen. Amoxicillin ist schon seit Längerem von Lieferengpässen betroffen. Aufgrund von „Produktionsproblemen“ sind sowohl Filmtabletten als auch Trockensaft aktuell auf der Lieferengpassliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgeführt.
Für das Schmerzmittel Metamizol könnten die Kosten um bis zu 380 Prozent steigen. Aber auch Neurologika wie Levetiracetam und Antidepressiva wie Citalopram sind von den Kostensteigerungen betroffen. Auch hier könnte KARL die Hersteller dazu veranlassen, die Arzneimittel aus dem Portfolio zu nehmen.
Von KARL sind nicht nur Arzneimittelhersteller betroffen, sondern auch die Kosmetikindustrie. Auch sie soll für die Entfernung von Mikroverunreinigen aus dem kommunalen Abwasser zur Kasse gebeten werden. Dabei soll auf neue Technologien wie Ozonung und Aktivkohlefiltration in Kläranlagen gesetzt werden.
Die Kostenübernahme soll stufenweise erfolgen. Bei großen Kläranlagen – ab 150.000 Einwohner:innen – sieht der Zeitplan wie folgt aus: Bis Ende 2033 sollen die Hersteller 20 Prozent der Kosten für Investitionen und Betrieb der vierten Reinigungsstufe übernehmen. Bis Ende 2039 soll der Kostenanteil auf 60 Prozent steigen und schließlich ab 2045 komplett bei den Herstellern liegen. Dabei richtet sich die Kostenumlage nach Volumen und Umwelttoxizität der Wirkstoffe.
F-Gasverordnung
Nicht nur KARL, auch die F-Gasverordnung ist eine Gefahr für die Arzneimittelversorgung. Vor allem für Patient:innen, die mit Salbutamol-Sprays behandelt werden. Der Einsatz fluorierter Treibhausgase soll bis 2050 schrittweise auf Null reduziert werden. Die Vorgabe erfordert den Einsatz von Alternativen, doch dazu müssen neue Zulassungen beantragt und die Produktion umgestellt werden. Das kostet Zeit und Geld – das die Hersteller aber nicht haben, denn das Geschäft mit Salbutamol-haltigen Dosieraerosolen ist nicht lukrativ. Den Investitionen steht eine geringe Marge gegenüber, was die Umstellung nicht attraktiv macht.
Sandoz hat bereits Konsequenzen angekündigt. Der Konzern produziert in Deutschland unter anderem Salbutamol-haltige Notfallsprays für Asthmapatient:innen. „Die Umrüstung unseres Produktionsstandorts in Rudolstadt wäre mit extrem hohen Investitionen verbunden, die sich wirtschaftlich nicht darstellen lassen“, teilt eine Sprecherin mit. „Wir planen daher, die Produktion von Salbutamol für den deutschen und europäischen Markt in den kommenden Jahren auslaufen zu lassen und evaluieren alternative Möglichkeiten zur Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland.“
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