Die Corona-Pandemie verschärft die Kluft zwischen Arm und Reich – Einkommenseinbußen, Kurzarbeit und Zukunftsängste werden immer größere Themen. Die soziale Ungleichheit wird durch die Krise verschärft. Arbeitnehmer mit geringerem Einkommen leiden deutlich mehr unter den negativen wirtschaftlichen Folgen als Erwerbstätige mit höherem Einkommen. Laut einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung erhalten Geringverdiener seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und fürchten doppelt so häufig, ihren Job zu verlieren.
Nach Monaten im Ausnahmezustand kehrt infolge der Lockerungen trotz Corona der Alltag wieder zurück. Doch die negativen wirtschaftlichen Folgen werden uns noch lange begleiten. Die Krise hat vor allem Arbeitnehmern mit geringem Einkommen finanziell stark zugesetzt. Wie die ersten Ergebnisse einer Online-Befragung zeigen, die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zwischen Mitte und Ende Juni mit 6.309 Erwerbstätigen durchgeführt wurde, stieg die Zahl derer, die bereits Einkommenseinbußen erlitten haben, zwischen April und Juni von 20 auf 26 Prozent. Die Quote der Beschäftigten, die sich Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft oder ihren Job machen, ist hingegen etwas zurückgegangen.
Zufriedenheit beim Krisenmanagement
Rund zwei Drittel der Befragten sind eher oder voll zufrieden mit dem Krisenmanagement. Aber es zeigen sich auch hier erhebliche Unterschiede. So steigen die Zustimmungswerte mit dem Einkommen und liegen zwischen 46 Prozent bei Arbeitnehmern mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1.500 Euro und 72 Prozent bei denjenigen mit einem Haushaltsnetto über 3.200 Euro. 39 Prozent aller Befragten können sich auch vorstellen, dass die Pandemie „benutzt wird, um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen.“ Dieser Verdacht ist unter Menschen mit niedrigem Einkommen ebenfalls überdurchschnittlich verbreitet: Hier stimmen 50 Prozent zu.
Juni: 12 Prozent in Kurzarbeit
Eine zwischen dem 18. und 29. Juni durchgeführte Befragung bildet die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab. Die Ergebnisse zeigen, dass Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen deutlich seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erhalten. 12 Prozent der befragten Arbeitnehmer gaben an, im Juni in Kurzarbeit zu sein – hochgerechnet sind das knapp fünfeinhalb Millionen Menschen. Weitere 9 Prozent gaben an, „weniger zu arbeiten“ oder ihre vertragliche Arbeitszeit reduziert zu haben, aber nicht in Kurzarbeit zu sein. 14 Prozent arbeiten während der Pandemie sogar mehr. 63 Prozent sehen keinen nennenswerten Unterschied zur Zeit vor der Krise. Dieser Anteil ist unter Menschen mit mittlerem (ab 2.600 Euro monatlich) und höherem Haushaltsnettoeinkommen (ab 3.200 Euro) etwas höher als bei Erwerbstätigen mit niedrigerem Einkommen.
Kurzarbeitergeld: Aufstockung nicht für alle
43 Prozent geben an, dass ihr Kurzarbeitergeld aufgestockt werde, 53 Prozent erhalten hingegen keine Anhebung. Im Vergleich zum April erhalten rund 10 Prozent mehr eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes. „Dazu dürfte beitragen, dass das gesetzliche Kurzarbeitergeld mittlerweile ab dem vierten Bezugsmonat auf 70 beziehungsweise 77 Prozent (mit Kind) steigt“, so die Hans-Böckler-Stiftung. „Trotz dieser gesetzlichen Regelung, die im Zeitverlauf für eine gewisse Angleichung sorgt, erhalten Personen, die in einem Unternehmen mit Tarifvertrag arbeiten, nach der Umfrage weiterhin deutlich häufiger (54 Prozent) eine Aufstockung als Personen, die nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt werden.“
Kurzarbeitergeld: Aufstockung eher bei höherem Einkommen und bei Tarifbindung
Der Unterschied nach Einkommensgruppen ist groß: Befragte, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro verfügen, erhalten deutlich seltener eine Aufstockung als Personen, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von mindestens 2.600 Euro verfügen.
Bessere Perspektiven in der Krise hätten Beschäftigte in Unternehmen mit Tarifvertrag, so die Hans-Böckler-Stiftung. 54 Prozent der Befragten mit Tarifbindung erhalten eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes. Besteht kein Tarifvertrag, sind es nur 31 Prozent.
Sorgen um wirtschaftliche Zukunft: Bei niedrigerem Einkommen häufiger
Deutlich mehr Beschäftigte spüren die Folgen der Krise im eigenen Portemonnaie: Im April gaben 20 Prozent der Befragten an, die Epidemie habe sich bereits negativ auf ihr persönliches Einkommen ausgewirkt, im Juni waren es 26 Prozent. Auch hier wird die soziale Kluft deutlich: In Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 1.500 Euro berichten 40 Prozent von Einbußen. Bei einem Haushaltsnetto zwischen 1.500 und 2.600 Euro haben 30 Prozent der Befragten Einkommen verloren. In der Einkommensklasse zwischen 2.600 und 3.200 Euro sind es 26 Prozent. Ab 3.200 Euro monatlichem Haushaltsnetto sind es 22 Prozent. Die Befragten in der höchsten Einkommensgruppe sind auch am optimistischsten, generell von Einkommensverlusten verschont zu bleiben: Damit rechnen 60 Prozent gegenüber nur 36 Prozent in der untersten Gruppe.
„86 Prozent der Befragten äußern Sorgen, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland weiter steigt. Wir hätten ein großes Problem, wenn sich der Eindruck festsetzen würde: Der Staat hat die Wirtschaft mit Milliarden gerettet, aber dafür müssen die sprichwörtlichen kleinen Leute zahlen. Wir sehen in unseren Befragungsdaten Anzeichen für solche Narrative, in denen sich nachvollziehbare Ängste und Verschwörungserzählungen vermischen können. Die Politik hat es in der Hand, sie zu entkräften oder zu verstärken“, sagt Professorin Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und Soziologieprofessorin an der Universität Paderborn.
Obwohl die finanziellen Einbußen konkret spürbar sind, haben die Zukunftsängste im Durchschnitt etwas abgenommen. So äußerten im April 70 Prozent der Erwerbstätigen Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation. Im Juni waren es 58 Prozent, wobei vor allem der Anteil mit „großen“ Sorgen rückläufig war (von 24 auf 15 Prozent). Auch hier sind die sozialen Unterschiede sehr groß: Am stärksten sank der Anteil der Besorgten unter den Befragten mit mehr als 3.200 Euro Haushaltsnetto (von 61 auf 47 Prozent). Dagegen blieb er in der Gruppe unter 1.500 Euro praktisch unverändert (83 zu 82 Prozent).
Je geringer das Einkommen, desto größer ist die Angst vor dem Jobverlust – 19 Prozent der Befragten in der Gruppe bis 1.500 Euro netto befürchten, wegen Corona in nächster Zeit arbeitslos zu werden. In den übrigen Gruppen sagen das, mit aufsteigendem Einkommen, 13, 11 und acht Prozent. Im Vergleich zum April hat sich allerdings auch unter den Erwerbstätigen mit niedrigerem Einkommen die Stimmung aufgehellt, der Anteil der Besorgten sank um 10 Prozentpunkte.
Kinderbetreuung ist Frauensache
Zwar haben viele Kitas und Schulen seit Juni zumindest wieder zeitweise geöffnet. Von einem Normalbetrieb kann bei den Bildungs- und Betreuungseinrichtungen aber nicht die Rede sein. Es sind vor allem die Mütter, die die Betreuungsarbeit übernehmen – 55 Prozent der Männer geben an, ihre Partnerin würde den größeren Anteil schultern, 9 Prozent übernehmen die Betreuung selbst, 36 Prozent sehen eine annähernd gleiche Verteilung. Unter den Frauen zeigt sich ein ähnliches Bild: 62 Prozent sagen, sie würden die Kinderbetreuung in erster Linie selbst übernehmen, 8 Prozent sprechen dies den Partnern zu, 30 Prozent sehen eine Gleichverteilung.
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