Schätzungsweise 1,9 Millionen Menschen in Deutschland sind arzneimittelabhängig. Die Dunkelziffer ist jedoch höher. Medikamentenabhängigkeit ist nach der Tabaksucht die zweithäufigste Form der Abhängigkeit. Erkennen PTA einen Medikamentenabusus, muss gehandelt werden – das fordert die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO).
Definition von Arzneimittelmissbrauch
Arzneimittelmissbrauch ist die absichtliche dauerhafte oder sporadische übermäßige Verwendung von Arzneimitteln mit körperlichen oder psychischen Schäden als Folge.
Arzneimittelsucht beschreibt den unwiderstehlichen Drang oder das zwanghafte Bedürfnis nach einem Medikament. Hinzu kommen Symptome, die als Abhängigkeitssyndrom bezeichnet werden.
Bei psychotropen Substanzen liegt ein Abhängigkeitssyndrom vor, wenn die Betroffenen innerhalb von zwölf Monaten drei oder mehr der folgenden Symptome entwickeln: starker Wunsch oder Zwang, das psychotrope Arzneimittel zu konsumieren; verminderte Kontrolle im Umgang; körperliches Entzugssyndrom beim Absetzen; Toleranzentwicklung; anhaltende Vernachlässigung sozialer und beruflicher Aktivitäten; weiterer Konsum, obwohl klar ist, dass dieser den Organismus schädigt.
Die Merkmale von Missbrauch und Abhängigkeitssyndrom werden unter dem Begriff Substanzgebrauchsstörung zusammengefasst. Diese liegt laut Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) vor, wenn innerhalb von zwölf Monaten zwei von elf Kriterien zutreffen:
- wiederholter Konsum: Verpflichtungen in Job und Privatleben werden nicht mehr erfüllt
- wiederholter Konsum in Situationen, in denen eine körperliche Gefährdung möglich ist
- wiederholter Konsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme
- Toleranzentwicklung, es kommt zur Dosissteigerung oder einer verminderten Wirkung
- Entzugssymptome oder Konsum, um die Symptome zu vermeiden
- Kontrollverlust: der Konsum dauert länger an oder erfolgt in größerer Menge als geplant
- anhaltender Kontrollwunsch oder erfolglose Versuche der Kontrolle
- hoher Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von deren Wirkung zu erholen
- andere Aktivitäten werden vernachlässigt oder ganz aufgegeben zugunsten des Konsums
- fortgesetzter Konsum, auch wenn die Betroffenen um körperliche oder psychische Probleme wissen
- Craving: starkes Verlangen oder Drang, die Substanz zu konsumieren
Arzneimittel mit Missbrauchspotenzial
Unterschieden wird zwischen Arzneimittel mit Abhängigkeitspotenzial wie Opiaten, Sedativa, Hypnotika, Tranquillizer, Anxiolytika oder Stimulantien. Arzneimittel, die missbräuchlich verwendet werden, aber denen primär kein Abhängigkeitspotenzial zugeschrieben werden kann, sind beispielsweise Schilddrüsen- und Wachstumshormone, Diuretika und Laxantien.
Selbstmedikation
Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) haben etwa 10 bis 12 Prozent der OTC-Arzneimittel ein Missbrauchspotenzial, im verschreibungspflichtigen Bereich ist es etwa die Hälfte.
Dextromethorpan
Das Opioidderivat besitzt eine zentral antitussive Wirkung. Im Falle einer Überdosierung kommt es zu Euphorisierung, Rauschzustand, Halluzination, Blutdruckabfall und Atemdepression.
Schmerzmittel
Eine übermäßige und langfristige Einnahme von Schmerzmitteln kann Ursache für einen sekundären arzneimittelindizierten Dauerkopfschmerz sein. Schätzungen zufolge leiden hierzulande etwa 100.000 Menschen an einem schmerzmittelbedingtem Dauerkopfschmerz. Nicht-opioide Analgetika sollten daher nicht länger als drei Tage am Stück und nicht mehr als an zehn Tagen pro Monat eingenommen werden. Für Triptane gilt die Faustregel: Maximal zweimal innerhalb von 24 Stunden, zwei Einzeldosen pro Attacke und nicht an mehr als zehn Tagen pro Monat.
Doxylamin und Diphenhydramin
Die H1-Antihistaminika sind zur Kurzzeitbehandlung von Ein- und Durchschlafstörungen zugelassen. Der Nachteil: Die Wirkstoffe können den Schlafrhythmus verschieben und so den Schlaf weniger erholsam machen. Werden die Arzneimittel nach täglicher längerfristiger Einnahme abrupt abgesetzt, können sich die Schlafstörungen wieder verstärken. Die Anwendung sollte daher auf maximal zwei Wochen begrenzt werden und ausgeschlichen werden. Nach dem Ansetzen hoher Dosen sind Entzugserscheinungen möglich.
Achtung, Toleranzentwicklung!
Bereits nach drei- bis viertägiger Einnahme von zweimal täglich 50 mg Diphenhydramin konnte eine Toleranzentwicklung dokumentiert werden.
Laxantien
Abführmittel werden vor allem zur Gewichtsreduktion missbräuchlich angewendet – vor allem von jungen Frauen. Allerdings basiert die Gewichtsabnahme auf dem Verlust von Wasser und Elektrolyten und geht nicht mit einer Reduktion des Körperfettes einher. Außerdem kommen Laxantien bei Personen mit Essstörungen wie Bulimie oder Anorexie zum Einsatz.
Bei Laxantien ist zwischen Missbrauch und Fehlgebrauch zu unterscheiden. Letztere kann Folge von mangelndem Patientenwissen sein. Patienten sollten daher im Falle eines Dauergebrauchs auf die Problematik und die möglichen Nebenwirkungen hingewiesen werden. Möglich sind Flüssigkeits- und Elektrolytverluste, eine Verstärkung der Darmträgheit, Hypokaliämie und Herzrhythmusstörungen.
Abschwellende Nasensprays
Die Alpha-Sympathomimetika Xylometazolin und Oxymetazolin sind für ihren Reboundeffekt bekannt. Abschwellende Nasensprays und -tropfen sollten daher nicht länger als sieben Tage in Folge angewendet werden. Sonst besteht die Gefahr einer Rhinitis medicamentosa. Bereits nach nur zehn Tagen kontinuierlichen Gebrauchs kann die Nasenschleimhaut dauerhaft anschwellen und die Atmung erschweren. Ursache kann der Rebound-Effekt durch die Stimulation der Beta-Rezeptoren sein, die einen gefäßerweiternden Effekt hervorrufen. Der gefäßverengende Effekt durch Einfluss auf die Alpha-Adrenozeptoren überwiegt zwar, aber die Wirkung auf die Beta-Rezeptoren dauert länger an. Diskutiert wird ebenfalls eine Gewöhnung durch Überstimulation der Alpha-Rezeptoren. Die Betroffenen sprühen weiter und geraten in einen Teufelskreis. Die Nasenschleimhäute trocknen mehr und mehr aus und werden rissig.
Was können Apotheken und PTA gegen Arzneimittelmissbrauch tun?
„Bei begründetem Verdacht auf Missbrauch ist die Abgabe zu verweigern“, heißt es in § 17 Absatz 8 ApBetrO. Haben PTA den Verdacht, ist der Apothekenleiter oder Inhaber zu informieren. Dann sollten Maßnahmen getroffen werden, die den Missbrauch abwehren. Der Umgang mit dem Patienten ist ein sensibles Thema, denn nicht jeder Betroffene erkennt und gibt zu, dass er abhängig ist. Wird die Abgabe verweigert, ist die nächste Apotheke nicht weit. Ratsamer ist es, dem Kunden ein über die Gefahren des Missbrauchs aufklärendes Beratungsgespräch anzubieten und ihn gegebenenfalls an einen Arzt zu verweisen.
Bei begründetem Verdacht auf Missbrauch ist die Abgabe zu verweigern
§ 17 Absatz 8 ApBetrO
Arzneimittelmissbrauch kann Menschen aller Altersgruppen treffen. Junge Menschen neigen dazu, Kombipräparate mit Pseudoephedrin, Phenylephrin oder Coffein ohne medizinische Indikation einzusetzen, um die eigene Leistung zu steigern und Müdigkeitserscheinungen zu beseitigen. Aus dem Apothekenalltag ist bekannt, dass junge Cannabiskonsumenten Augentropfen mit vasokonstriktiven Eigenschaften verwenden, um die sichtbaren Folgen des illegalen Konsums zu überdecken.
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